Donnerstag, 13. Oktober 2016

Kinder – Bilderbuch für die Kita nutzen

„Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab?“

Sam McBratney, Anita Jeram, Verlag Sauerländer Aarau, Frankfurt am Main und Salzburg, 1994

Inhaltsangabe:

Der kleine Hase möchte vor dem Schlafengehen, dass ihm der große Hase zuhört und fragt ihn, ob er wüsste, wie lieb er den großen Hasen hat. Beide versuchen, sich in Worten und Gesten gegenseitig zu überbieten. Immer größer und immer weiter beschreiben sie ihre Zuneigung. Als es dunkel ist und der Mond ist zu sehen, ist der kleine Hase so müde, dass ihm nur noch einfällt, dass er den großen Hasen so lieb hat, so weit es bis zum Mond ist und dann einschläft. Der große Hase stellt flüsternd fest, dass sich beide bis zum Mond und wieder zurück lieb haben.

Verwendung:
Das Bilderbuch eignet sich für Kinder ab 3 Jahren, da die bildliche und bildnerische Darstellung und einfache Thematik in der Schreibweise für 3-jährige vom Sinn her verständlich ist. Die Textlänge steigt mit zunehmendem Alter, dennoch dominieren die Bilder. Der Handlungsort spielt in mehreren Räumen und Rückbezüge in die Vergangenheit und einfache Zukunftshinweise sind möglich.
Nach folgenden Situationen bietet sich das Bilderbuch an:
-          nach einem Streit von zwei Freunden
-          wenn zwei befreundete Kinder ihre Zuneigung zeigen, zum Beispiel durch Umarmung und sie gehänselt werden
-          in auftretenden Situationen, bei denen ein Kind nicht über seine Gefühle reden kann/will, ein „Problem“ hat
Pädagogische Absicht:
Zum einen ist es wichtig, jemandem zu sagen/zeigen, wie gern/lieb man ihn hat und zum anderen ist es nichts schlimmes, Gefühle auszudrücken. „Das Bilderbuch stellt in Situationsbildern, in Handlungsabläufen oder in Bildgeschichten einen Ausschnitt der Umwelt des Kindes dar. Es hilft ihm, durch das Bild die Umwelt zu erfassen und Hintergründe zu erfahren. Durch die Art der Darstellung, häufig unterstützt durch Texte, wird das Kind dazu angeregt, sich mit dem Inhalt auseinander zu setzen. Das Bilderbuch veranlasst das Kind, sich in die aufgezeigten Vorgänge zu vertiefen, genau zu beobachten, Einzelheiten zu erkennen, Bilder miteinander zu vergleichen und Unterschiede herauszufinden. Bilder sind sehr dazu geeignet, Wahrnehmung und Sprachverständnis zu fördern und den Wortschatz zu erweitern.“ (Zitat: „So lernen Kinder sprechen, Seite 78)
Bevor das Kind Abbildungen in Bilderbüchern erkennen und benennen kann, muss es die Möglichkeit gehabt haben, Gegenstände, ihre Funktion und Beschaffenheit, mit allen Sinnen zu erfahren.
Am Bilderbuch werden dem Kind auch literarische Ersterfahrungen ermöglicht, die den Zugang zu anderen Gattungen der Kinder- und Jugendliteratur erleichtern. Eine ästhetische Erziehung, die bereits im Kindergarten einsetzt, kann durch gute Bilderbücher wesentlich gefördert werden. So kommt geschmackvollen und qualitativen Bilderbüchern eine wichtige Funktion zu, da sie wesentlich die Entwicklung des Formgefühls, des Formverständnisses und des guten Geschmacks beeinflussen.


Art des Bilderbuches:
Dieses Buch ist als Erzählerbericht geschrieben „Der kleine Hase sollte ins Bett gehen, aber er hielt sich noch ganz fest an den langen Ohren des großen Hasen.“ („Weißt du eigentlich wie lieb ich dich hab?“, S. 1) und ist eine  phantastische Bilderbuchgeschichte.
Sie „wird auf märchenhafte Weise von den Träumen, Wünschen, Ängsten, Problemen und Sorgen der Menschen erzählt. … Die Ausgestaltung gibt partiell … alltägliche Situationen wieder,  …“ (Unterrichtsmaterial, „Was bewirken Bilderbücher?)
Die Hasen in dem Buch sind vermenschlicht: sie sprechen, üben menschliche Bewegungen aus, wie zum Beispiel: Heben die Arme zur Seite, S. 4 und 6, heben Arme hoch, S. 8 und 10, sie machen einen Handstand, S. 13, der große Hase schwingt den kleinen Hasen durch die Luft, S. 15, der große Hase hebt den kleinen Hasen hoch, S. 23, der große Hase hält den kleinen Hasen wie ein Menschenbaby im Arm, S. 25.
Dieses Bilderbuch ist ein Szenenbilderbuch. Es hat wenig Text, detail-und inhaltsreiche Abbildungen und wirklichkeitsnahe Illustrationen. Es zeigt doppelseitige in sich geschlossene Szenen und die Bilder sind aus der erlebbaren Umwelt. Das Szenenbilderbuch gibt durch die auffordernde Aufmachung Sprech- und Denkanstöße und motiviert zu selbständigen Denkleistungen.
Förderziele:
Durch das Bilderbuch wird das Kind in folgenden Bereichen gefördert:
-          Sprachentwicklung
-          Wortschatz
-         mathematische, naturwissenschaftliche und technische Grunderfahrungen
Im Bereich Kommunikation, insbesondere in der Sprachentwicklung und im Wortschatz, wird das Kind in seinen Kompetenzen (Ich-, Soziale-, Sach- und lernmethodische Kompetenzen), auf die ich später eingehe, gefördert und gestärkt.
Sprachentwicklung
Um das Kind in seiner Sprache bzw. Sprachentwicklung zu fördern, müssen die dafür vorgesehenen Rahmenbedingungen beachtet und weitestgehend geschaffen werden. Das Betrachten und Vorlesen eines Buches ist nur ein Teil eines Ganzen, eines kompletten Puzzles.  Die Sprachentwicklung setzt sich aus mehreren Bereichen zusammen:


Spiel:
Das Kind setzt sich während des Spielens aktiv mit seiner Umwelt auseinander. Es kann seine Umwelt mit allen Sinnen entdecken. Deshalb sollte das Spiel „nicht ohne besonderen Grund unterbrochen oder gestört werden.“ (So lernen Kinder sprechen, S. 20)
Hörvermögen und organische Voraussetzungen:
Das Hörvermögen und die organischen Voraussetzungen sind unabdingbare Bedingungen zum Sprechen. Ist das Hörvermögen eingeschränkt, kann das Kind die Sprache nicht nachahmen und es fehlen ihm Hörerfahrungen  zum Beispiel für Umweltgeräusche. Die organischen Gegebenheiten sind wichtig, da beim Sprechen die drei Vorgänge Atmung, Stimmgebung und Lautbildung zusammenwirken. „Für jeden Laut wird ein bestimmtes Bewegungsmuster gespeichert, … im Hör-Sprach-Regelkreis erfolgt die ständige Korrektur des Bewegungsablaufes, … dann wird der Bewegungsablauf als „richtig“ gespeichert und … eingesetzt.“ (So lernen Kinder sprechen, S. 14)
Motorik:
„Unter Motorik verstehen wir alle willkürlichen Bewegungsvorgänge, welche die Stellung und den Spannungszustand des Bewegungsapparates und damit das Muskelsystem verändern.“ (So lernen Kinder sprechen, S. 15)
Zur Motorik zählen die Grobmotorik (Bewegungen des ganzen Körpers), Feinmotorik (dosierte und fein abgestimmte Bewegungen) und die Mundmotorik.
sprachliches Vorbild:
Das Kind lernt durch Nachahmung und wird „durch ständige Anregungen und eigenem Ausprobieren“ (So lernen Kinder sprechen, S. 19) zum Sprechen animiert.
Wahrnehmung:
Alle Sinneseindrücke aus dem Umfeld werden im Gehirn integriert. Das Zusammenwirken der Wahrnehmungsbereiche ermöglicht die Ausbildung der Fähigkeiten des Kindes:

Sprachverständnis:
Das Kind lernt, dass ein Wort stellvertretend für einen Gegenstand bzw. eine Handlung stehen kann. Es  hat ein inneres Bild aufgebaut, wodurch es nun allein durch die Vorstellung des Gegenstandes das Wort hervorrufen kann. Über dieses innere Bild entwickelt sich auch das Rollen- und Symbolspiel.
Sprechfreude:
„Der Sprechantrieb und die Sprechfreude haben einen erheblichen Einfluss auf die Sprachentwicklung des Kindes.“ (So lernen Kinder sprechen, S. 18) Gespräche zur Kontaktaufnahme, im Spiel und zur Konfliktlösung wirken positiv auf das Kind, sodass es Freude am Sprechen empfindet.
Umweltbedingungen:
„Für die Entwicklung der Sprache ist die Umwelt, d.h. die sozialen und kulturellen Bedingungen, … von großer Bedeutung.“ (So lernen Kinder sprechen, S. 19) Wichtig dabei sind das Gefühl von Liebe und Geborgenheit, sprachliche Zuwendung (Ton und Klang), körperliche Zuwendung und sich angenommen sein fühlen.
Wortschatz:
Im Verlauf der Sprachentwicklung beginnt das Kind im 4. Lebensjahr Haupt- und Nebensätze zu bilden. Die Stellung der Worte im Satz ist jetzt meist richtig.
 „Der kleine Hase wollte nämlich ganz sicher sein, dass der große Hase ihm auch gut zuhörte.“ („Weißt du eigentlich wie lieb ich dich hab?“, S. 3)
Im 4. Lebensjahr steigt der Wortschatz noch stark an und differenziert sich weiter. Abstrakte Begriffe wie Zeiten, Mengen und Gefühle (Tageszeiten, „wie lieb ich dich hab“) werden in den aktiven Wortschatz aufgenommen und situationsgerecht eingesetzt. Das Kind kann ein Gespräch über Dinge führen, die nicht unbedingt die aktuelle Situation betreffen. Das Kind stellt Fragen zum Erfassen von Gesamtzusammenhängen: Wozu? Weshalb? Wohin? Woher? Wie geht das? Es erfasst komplexe Zusammenhänge und versteht Geschichten. Da das Kind Vorstellungen von Situationen und Gegenständen hat, kann es Spielhandlungen planen, für das Spiel notwendige Gegenstände suchen oder ähnliche Gegenstände als Ersatz nehmen. Um die Sprechfreude des Kindes zu fördern und zu erhalten, gibt es einige sprachliche und nichtsprachliche Regeln, die der Erwachsene einhalten sollte. Der Erwachsene nimmt den Inhalt des Erzählten ernst und zeigt durch Nachfragen, Zustimmen und aufmerksames Zuhören Interesse. Er selbst sollte ein gutes Sprachvorbild geben (Tempo und Deutlichkeit). Wichtig ist auch, das Kind aussprechen zu lassen und fehlerhaftes Sprechen zu akzeptieren und verbessernde Rückmeldungen zu geben. Nichtsprachliche Reaktionen (sozial-emotionale Ebene) sind ebenso von Bedeutung wie die sprachlichen, aber noch bedeutsamer, um ein Kind überhaupt zum Sprechen zu animieren. Der Erwachsene muss sich dem Kind zuwenden, sich Zeit nehmen und den Blickkontakt zum Kind aufnehmen und halten. Wichtig ist auch, ein angenehmes Gesprächsklima zu schaffen. Die ist durch Ruhe im Gespräch, Körperkontakt und freundlichem Umgang mit dem Kind erreichbar.
Wenn aber das Kind negative Reaktionen erfährt, können Sprechunflüssigkeiten entstehen oder sich verstärken. Nach Ermahnungen und Hinweisen bemüht sich das Kind, besonders gut zu sprechen. Dabei entstehen erst Recht Unflüssigkeiten, die dann wiederum zur (stärkeren) Unsicherheit führt.
„Teufelskreis: Verstärkung der Sprechunflüssigkeiten“ (So lernen Kinder sprechen, S. 58)

Die positiven Reaktionen bestärken die Kompetenzen des Kindes, so dass es sich weiter entwickeln kann. Zur Stärkung der Ich-Kompetenz erfährt das Kind in dem Buch, dass das Ausdrücken eigener Bedürfnisse, Interessen und Gefühle und sich anderen sprachlich mitzuteilen, etwas Positives ist. Es kann sich beispielsweise mit dem kleinen Hasen identifizieren, wobei der große Hase ein Elternteil oder einen anderen Erwachsenen, ein Geschwisterkind oder auch einen älteren/großen Freund darstellen kann. Das Kind fühlt die Zuneigung zwischen den Hasen und kann dieses Gefühl  beschreiben. Die Wörter der Zuneigung wirken positiv auf das Kind, so dass es die Lust an Sprache und Sprechen bekommt und sich somit die eigenen sprachlichen Fähigkeiten und ihre Erweiterung zutraut. Ist das Interesse des Kindes an einem Buch geweckt, interessiert es sich auch für andere Bücher, für das Erfinden von Geschichten und später für das selbständige Lesen. Das Kind entwickelt eigene Gedanken und Ideen, sucht Alternativen (Wie doll kann ich jemanden mögen, wie hoch, groß und weit ist mein Gefühl?) und begeistert damit andere. Das Buch ist also eine Möglichkeit, Worte zu finden und zu benutzen, um seine Gefühle zu beschreiben. Ein Kind traut sich beispielsweise nicht über seine Gefühle zu sprechen. Das Buch kann dann ein Anlass und/oder Anregung sein, damit sich das Kind öffnet und versucht, seine eigenen Gefühle und Erlebnisse zu erzählen und somit seine Probleme verarbeiten kann. Durch das Erkennen seiner Gefühle und dem  sich Darstellen entwickelt das Kind ein Bild von sich und weiß „wer ich bin“. Das Kind wird zum Gespräch/zur Diskussion angeregt, bei dem es lernt,  sich mit anderen zu verständigen, also aufmerksam zuhört und angemessen in seinen Handlungen und Fragen reagiert. Das Kind wird sensibilisiert, das Gesagte und die Gefühle des anderen zu achten und zu respektieren. In Gesprächen werden unterschiedliche Gefühle genannt (Wortschatzerweiterung), bei denen das Kind für sich entscheidet, welches auf ihn selbst zutrifft. Es erfährt und beobachtet, wie andere Menschen sich ihre Gefühle zeigen und wie sie mit Gefühlen umgehen.
mathematische, naturwissenschaftliche und technische Grund-erfahrungen:
Neben der Kommunikation werden durch das Buch auch die Kompetenzen des Kindes in den Bereichen mathematische Grunderfahrungen und naturwissenschaftliche und technische Grunderfahrungen gefördert. Das Kind entwickelt ein Zeitverständnis, da die Geschichte im Buch sich abends beim Guten Nacht sagen abspielt und sie bildlich in Tag und Nacht unterschieden wird. Das Kind stellt in Bezug auf sich Größenvergleiche her, in dem es die unterschiedlichen Größen (Hasen, Armlänge, usw.) betrachtet. Es vergleicht sich mit anderen und nimmt Erscheinungen differenzierter wahr. „Was ist gleich, was ist anders? Wer oder was ist größer-kleiner, länger-kürzer, schwerer-leichter?“ (BBP, S. 89 ff).
Es lernt eigene Zeiterfahrungen wie: Wie war das Zu-Bett-gehen gestern? Wie dunkel/hell war diese Situation im letzten Winter/Sommer?
Das Kind erlangt die Fähigkeit, sich in Zeit und Raum zu orientieren. Was und wo mache ich morgens, mittags, abends?
Durch die Besprechung des Buches, entwickelt das Kind außerdem ein Grundverständnis zur Unterscheidung von Realität und Virtualität, auch in Bezug auf technische Medien (Fernsehen, Computer, etc.).
Im nächsten Teil bekommt Ihr von mir kreative Ideen zum Thema des Bilderbuches :-)




Quellenangaben

 „Berliner Bildungsprogramm“, Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport Berlin, Verlag das Netz, Berlin, 2004

„So lernen Kinder sprechen“, Richter, Brügge, Mohs, Ernst Reinhardt Verlag, München, 2001

„Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab?“, McBratney & Jeram, Patmos Verlag GmbH & Co. KG, Düsseldorf, 2006

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