„Weißt
du eigentlich, wie lieb ich dich hab?“
Sam
McBratney, Anita Jeram, Verlag Sauerländer Aarau, Frankfurt am Main und
Salzburg, 1994
Inhaltsangabe:
Der
kleine Hase möchte vor dem Schlafengehen, dass ihm der große Hase zuhört und
fragt ihn, ob er wüsste, wie lieb er den großen Hasen hat. Beide versuchen,
sich in Worten und Gesten gegenseitig zu überbieten. Immer größer und immer
weiter beschreiben sie ihre Zuneigung. Als es dunkel ist und der Mond ist zu
sehen, ist der kleine Hase so müde, dass ihm nur noch einfällt, dass er den
großen Hasen so lieb hat, so weit es bis zum Mond ist und dann einschläft. Der
große Hase stellt flüsternd fest, dass sich beide bis zum Mond und wieder
zurück lieb haben.
Verwendung:
Das
Bilderbuch eignet sich für Kinder ab 3 Jahren, da die bildliche und
bildnerische Darstellung und einfache Thematik in der Schreibweise für
3-jährige vom Sinn her verständlich ist. Die Textlänge steigt mit zunehmendem
Alter, dennoch dominieren die Bilder. Der Handlungsort spielt in mehreren
Räumen und Rückbezüge in die Vergangenheit und einfache Zukunftshinweise sind
möglich.
Nach
folgenden Situationen bietet sich das Bilderbuch an:
-
nach einem Streit von zwei Freunden
-
wenn zwei befreundete Kinder ihre Zuneigung
zeigen, zum Beispiel durch Umarmung und sie gehänselt werden
-
in auftretenden Situationen, bei denen ein
Kind nicht über seine Gefühle reden kann/will, ein „Problem“ hat
Pädagogische
Absicht:
Zum
einen ist es wichtig, jemandem zu sagen/zeigen, wie gern/lieb man ihn hat und
zum anderen ist es nichts schlimmes, Gefühle auszudrücken. „Das Bilderbuch
stellt in Situationsbildern, in Handlungsabläufen oder in Bildgeschichten einen
Ausschnitt der Umwelt des Kindes dar. Es hilft ihm, durch das Bild die Umwelt
zu erfassen und Hintergründe zu erfahren. Durch die Art der Darstellung, häufig
unterstützt durch Texte, wird das Kind dazu angeregt, sich mit dem Inhalt
auseinander zu setzen. Das Bilderbuch veranlasst das Kind, sich in die
aufgezeigten Vorgänge zu vertiefen, genau zu beobachten, Einzelheiten zu
erkennen, Bilder miteinander zu vergleichen und Unterschiede herauszufinden.
Bilder sind sehr dazu geeignet, Wahrnehmung und Sprachverständnis zu fördern
und den Wortschatz zu erweitern.“ (Zitat: „So lernen Kinder sprechen, Seite 78)
Bevor
das Kind Abbildungen in Bilderbüchern erkennen und benennen kann, muss es die
Möglichkeit gehabt haben, Gegenstände, ihre Funktion und Beschaffenheit, mit
allen Sinnen zu erfahren.
Am
Bilderbuch werden dem Kind auch literarische Ersterfahrungen ermöglicht, die
den Zugang zu anderen Gattungen der Kinder- und Jugendliteratur erleichtern.
Eine ästhetische Erziehung, die bereits im Kindergarten einsetzt, kann durch
gute Bilderbücher wesentlich gefördert werden. So kommt geschmackvollen und
qualitativen Bilderbüchern eine wichtige Funktion zu, da sie wesentlich die
Entwicklung des Formgefühls, des Formverständnisses und des guten Geschmacks
beeinflussen.
Art
des Bilderbuches:
Dieses
Buch ist als Erzählerbericht geschrieben „Der kleine Hase sollte ins Bett
gehen, aber er hielt sich noch ganz fest an den langen Ohren des großen Hasen.“
(„Weißt du eigentlich wie lieb ich dich hab?“, S. 1) und ist eine phantastische Bilderbuchgeschichte.
Sie
„wird auf märchenhafte Weise von den Träumen, Wünschen, Ängsten, Problemen und
Sorgen der Menschen erzählt. … Die Ausgestaltung gibt partiell … alltägliche
Situationen wieder, …“
(Unterrichtsmaterial, „Was bewirken Bilderbücher?)
Die
Hasen in dem Buch sind vermenschlicht: sie sprechen, üben menschliche Bewegungen
aus, wie zum Beispiel: Heben die Arme zur Seite, S. 4 und 6, heben Arme hoch,
S. 8 und 10, sie machen einen Handstand, S. 13, der große Hase schwingt den
kleinen Hasen durch die Luft, S. 15, der große Hase hebt den kleinen Hasen
hoch, S. 23, der große Hase hält den kleinen Hasen wie ein Menschenbaby im Arm,
S. 25.
Dieses
Bilderbuch ist ein Szenenbilderbuch. Es hat wenig Text, detail-und
inhaltsreiche Abbildungen und wirklichkeitsnahe Illustrationen. Es zeigt
doppelseitige in sich geschlossene Szenen und die Bilder sind aus der
erlebbaren Umwelt. Das Szenenbilderbuch gibt durch die auffordernde Aufmachung
Sprech- und Denkanstöße und motiviert zu selbständigen Denkleistungen.
Förderziele:
Durch
das Bilderbuch wird das Kind in folgenden Bereichen gefördert:
-
Sprachentwicklung
-
Wortschatz
- mathematische, naturwissenschaftliche und
technische Grunderfahrungen
Im
Bereich Kommunikation, insbesondere in der Sprachentwicklung und im Wortschatz,
wird das Kind in seinen Kompetenzen (Ich-, Soziale-, Sach- und lernmethodische
Kompetenzen), auf die ich später eingehe, gefördert und gestärkt.
Sprachentwicklung
Um
das Kind in seiner Sprache bzw. Sprachentwicklung zu fördern, müssen die dafür
vorgesehenen Rahmenbedingungen beachtet und weitestgehend geschaffen werden.
Das Betrachten und Vorlesen eines Buches ist nur ein Teil eines Ganzen, eines
kompletten Puzzles. Die
Sprachentwicklung setzt sich aus mehreren Bereichen zusammen:
Spiel:
Das
Kind setzt sich während des Spielens aktiv mit seiner Umwelt auseinander. Es
kann seine Umwelt mit allen Sinnen entdecken. Deshalb sollte das Spiel „nicht
ohne besonderen Grund unterbrochen oder gestört werden.“ (So lernen Kinder
sprechen, S. 20)
Hörvermögen
und organische Voraussetzungen:
Das
Hörvermögen und die organischen Voraussetzungen sind unabdingbare Bedingungen
zum Sprechen. Ist das Hörvermögen eingeschränkt, kann das Kind die Sprache
nicht nachahmen und es fehlen ihm Hörerfahrungen zum Beispiel für Umweltgeräusche. Die
organischen Gegebenheiten sind wichtig, da beim Sprechen die drei Vorgänge
Atmung, Stimmgebung und Lautbildung zusammenwirken. „Für jeden Laut wird ein
bestimmtes Bewegungsmuster gespeichert, … im Hör-Sprach-Regelkreis erfolgt die
ständige Korrektur des Bewegungsablaufes, … dann wird der Bewegungsablauf als
„richtig“ gespeichert und … eingesetzt.“ (So lernen Kinder sprechen, S. 14)
Motorik:
„Unter
Motorik verstehen wir alle willkürlichen Bewegungsvorgänge, welche die Stellung
und den Spannungszustand des Bewegungsapparates und damit das Muskelsystem
verändern.“ (So lernen Kinder sprechen, S. 15)
Zur
Motorik zählen die Grobmotorik (Bewegungen des ganzen Körpers), Feinmotorik
(dosierte und fein abgestimmte Bewegungen) und die Mundmotorik.
sprachliches
Vorbild:
Das
Kind lernt durch Nachahmung und wird „durch ständige Anregungen und eigenem
Ausprobieren“ (So lernen Kinder sprechen, S. 19) zum Sprechen animiert.
Wahrnehmung:
Alle
Sinneseindrücke aus dem Umfeld werden im Gehirn integriert. Das Zusammenwirken
der Wahrnehmungsbereiche ermöglicht die Ausbildung der Fähigkeiten des Kindes:
Sprachverständnis:
Das
Kind lernt, dass ein Wort stellvertretend für einen Gegenstand bzw. eine
Handlung stehen kann. Es hat ein inneres
Bild aufgebaut, wodurch es nun allein durch die Vorstellung des Gegenstandes
das Wort hervorrufen kann. Über dieses innere Bild entwickelt sich auch das
Rollen- und Symbolspiel.
Sprechfreude:
„Der
Sprechantrieb und die Sprechfreude haben einen erheblichen Einfluss auf die
Sprachentwicklung des Kindes.“ (So lernen Kinder sprechen, S. 18) Gespräche zur
Kontaktaufnahme, im Spiel und zur Konfliktlösung wirken positiv auf das Kind,
sodass es Freude am Sprechen empfindet.
Umweltbedingungen:
„Für
die Entwicklung der Sprache ist die Umwelt, d.h. die sozialen und kulturellen
Bedingungen, … von großer Bedeutung.“ (So lernen Kinder sprechen, S. 19)
Wichtig dabei sind das Gefühl von Liebe und Geborgenheit, sprachliche Zuwendung
(Ton und Klang), körperliche Zuwendung und sich angenommen sein fühlen.
Wortschatz:
Im
Verlauf der Sprachentwicklung beginnt das Kind im 4. Lebensjahr Haupt- und
Nebensätze zu bilden. Die Stellung der Worte im Satz ist jetzt meist richtig.
„Der kleine Hase wollte nämlich ganz sicher
sein, dass der große Hase ihm auch gut zuhörte.“ („Weißt du eigentlich wie lieb
ich dich hab?“, S. 3)
Im
4. Lebensjahr steigt der Wortschatz noch stark an und differenziert sich
weiter. Abstrakte Begriffe wie Zeiten, Mengen und Gefühle (Tageszeiten, „wie
lieb ich dich hab“) werden in den aktiven Wortschatz aufgenommen und
situationsgerecht eingesetzt. Das Kind kann ein Gespräch über Dinge führen, die
nicht unbedingt die aktuelle Situation betreffen. Das Kind stellt Fragen zum
Erfassen von Gesamtzusammenhängen: Wozu? Weshalb? Wohin? Woher? Wie geht das?
Es erfasst komplexe Zusammenhänge und versteht Geschichten. Da das Kind
Vorstellungen von Situationen und Gegenständen hat, kann es Spielhandlungen
planen, für das Spiel notwendige Gegenstände suchen oder ähnliche Gegenstände
als Ersatz nehmen. Um die Sprechfreude des Kindes zu fördern und zu erhalten,
gibt es einige sprachliche und nichtsprachliche Regeln, die der Erwachsene
einhalten sollte. Der Erwachsene nimmt den Inhalt des Erzählten ernst und zeigt
durch Nachfragen, Zustimmen und aufmerksames Zuhören Interesse. Er selbst
sollte ein gutes Sprachvorbild geben (Tempo und Deutlichkeit). Wichtig ist auch,
das Kind aussprechen zu lassen und fehlerhaftes Sprechen zu akzeptieren und
verbessernde Rückmeldungen zu geben. Nichtsprachliche Reaktionen
(sozial-emotionale Ebene) sind ebenso von Bedeutung wie die sprachlichen, aber
noch bedeutsamer, um ein Kind überhaupt zum Sprechen zu animieren. Der
Erwachsene muss sich dem Kind zuwenden, sich Zeit nehmen und den Blickkontakt
zum Kind aufnehmen und halten. Wichtig ist auch, ein angenehmes Gesprächsklima
zu schaffen. Die ist durch Ruhe im Gespräch, Körperkontakt und freundlichem
Umgang mit dem Kind erreichbar.
Wenn
aber das Kind negative Reaktionen erfährt, können Sprechunflüssigkeiten
entstehen oder sich verstärken. Nach Ermahnungen und Hinweisen bemüht sich das
Kind, besonders gut zu sprechen. Dabei entstehen erst Recht Unflüssigkeiten,
die dann wiederum zur (stärkeren) Unsicherheit führt.
„Teufelskreis: Verstärkung
der Sprechunflüssigkeiten“ (So lernen Kinder sprechen, S. 58)
Die
positiven Reaktionen bestärken die Kompetenzen des Kindes, so dass es sich
weiter entwickeln kann. Zur Stärkung der Ich-Kompetenz erfährt das Kind in dem
Buch, dass das Ausdrücken eigener Bedürfnisse, Interessen und Gefühle und sich
anderen sprachlich mitzuteilen, etwas Positives ist. Es kann sich
beispielsweise mit dem kleinen Hasen identifizieren, wobei der große Hase ein
Elternteil oder einen anderen Erwachsenen, ein Geschwisterkind oder auch einen
älteren/großen Freund darstellen kann. Das Kind fühlt die Zuneigung zwischen
den Hasen und kann dieses Gefühl
beschreiben. Die Wörter der Zuneigung wirken positiv auf das Kind, so
dass es die Lust an Sprache und Sprechen bekommt und sich somit die eigenen
sprachlichen Fähigkeiten und ihre Erweiterung zutraut. Ist das Interesse des
Kindes an einem Buch geweckt, interessiert es sich auch für andere Bücher, für
das Erfinden von Geschichten und später für das selbständige Lesen. Das Kind
entwickelt eigene Gedanken und Ideen, sucht Alternativen (Wie doll kann ich
jemanden mögen, wie hoch, groß und weit ist mein Gefühl?) und begeistert damit
andere. Das Buch ist also eine Möglichkeit, Worte zu finden und zu benutzen, um
seine Gefühle zu beschreiben. Ein Kind traut sich beispielsweise nicht über
seine Gefühle zu sprechen. Das Buch kann dann ein Anlass und/oder Anregung
sein, damit sich das Kind öffnet und versucht, seine eigenen Gefühle und
Erlebnisse zu erzählen und somit seine Probleme verarbeiten kann. Durch das
Erkennen seiner Gefühle und dem sich Darstellen
entwickelt das Kind ein Bild von sich und weiß „wer ich bin“. Das Kind wird zum
Gespräch/zur Diskussion angeregt, bei dem es lernt, sich mit anderen zu verständigen, also
aufmerksam zuhört und angemessen in seinen Handlungen und Fragen reagiert. Das
Kind wird sensibilisiert, das Gesagte und die Gefühle des anderen zu achten und
zu respektieren. In Gesprächen werden unterschiedliche Gefühle genannt
(Wortschatzerweiterung), bei denen das Kind für sich entscheidet, welches auf
ihn selbst zutrifft. Es erfährt und beobachtet, wie andere Menschen sich ihre
Gefühle zeigen und wie sie mit Gefühlen umgehen.
mathematische, naturwissenschaftliche und technische Grund-erfahrungen:
Neben
der Kommunikation werden durch das Buch auch die Kompetenzen des Kindes in den
Bereichen mathematische Grunderfahrungen und naturwissenschaftliche und
technische Grunderfahrungen gefördert. Das Kind entwickelt ein Zeitverständnis,
da die Geschichte im Buch sich abends beim Guten Nacht sagen abspielt und sie
bildlich in Tag und Nacht unterschieden wird. Das Kind stellt in Bezug auf sich
Größenvergleiche her, in dem es die unterschiedlichen Größen (Hasen, Armlänge,
usw.) betrachtet. Es vergleicht sich mit anderen und nimmt Erscheinungen
differenzierter wahr. „Was ist gleich, was ist anders? Wer oder was ist
größer-kleiner, länger-kürzer, schwerer-leichter?“ (BBP, S. 89 ff).
Es
lernt eigene Zeiterfahrungen wie: Wie war das Zu-Bett-gehen gestern? Wie
dunkel/hell war diese Situation im letzten Winter/Sommer?
Das
Kind erlangt die Fähigkeit, sich in Zeit und Raum zu orientieren. Was und wo
mache ich morgens, mittags, abends?
Durch
die Besprechung des Buches, entwickelt das Kind außerdem ein Grundverständnis
zur Unterscheidung von Realität und Virtualität, auch in Bezug auf technische
Medien (Fernsehen, Computer, etc.).
Im nächsten Teil bekommt Ihr von mir kreative Ideen zum Thema des Bilderbuches :-)
Quellenangaben
„Berliner
Bildungsprogramm“, Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport Berlin,
Verlag das Netz, Berlin, 2004
„So lernen
Kinder sprechen“, Richter, Brügge, Mohs, Ernst Reinhardt Verlag, München, 2001
„Weißt du
eigentlich, wie lieb ich dich hab?“, McBratney & Jeram, Patmos Verlag GmbH
& Co. KG, Düsseldorf, 2006
Lernt man dann eigentlich schon etwas über Rhetorik?
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